Oldtimerrallyes und -Treffs sind vergnügliche Nostalgie-Bewerbe vor prächtiger Landschaftskulisse. Der Glamour-Faktor ist hoch, die Promi-Dichte ebenfalls. Hauptdarsteller sind aber die berückend schönen automobilen Klassiker.
Der Tod kam auf einer langen Geraden vor dem Dorf Guidizzolo. Alfonso de Portago, ein halbverrückter spanischer Aristokrat, trieb seinen Ferrari 355 S gnadenlos an. Die Nadel des Drehzahlmessers schob sich bei Vollgas gerade über die 7.000er-Marke, das entsprach ungefähr 280 Stundenkilometern, die zwölf Zylinder tauchten immer noch an – da platzte der linke Vorderreifen, der Ferrari schleuderte, touchierte einen Markstein und schlug wie ein Geschoß im Menschenspalier ein. Zehn Zuschauer, der Fahrer und sein Beifahrer Edmond Nelson wurden getötet, zwanzig schwer verletzt.
Der verheerende Unfall vom 12. Mai 1957 markierte das zwangsweise Ende der Mille Miglia, des prestigeträchtigsten Langstrecken-Straßenrennens jener Tage. Zwanzig Jahre später wurde die Mille Miglia als Nostalgie-Bewerb wiederbelebt, der seither alljährlich an drei Tagen im Mai abgehalten wird. Das bedeutet, dass die Strecke, ein verschlungener Landstraßenparcours von Brescia über die Adriaküste nach Rom und via die Toskana zurück, nicht in elf, zwölf Stunden durchzupressen ist, sondern in vier Tagen, in genießerischer Herrenfahrerallüre, gemütliche Übernachtungen inklusive. Das bedeutet auch, dass es heutzutage nicht um die absolute Geschwindigkeit geht, sondern darum, in großzügig bemessenen Streckenzeiten präzise, mehr oder weniger auf die Zehntelsekunde genau, durchs Ziel zu gleiten – weshalb den Copiloten mit ihrer Stoppuhr womöglich die größere Aufgabe zukommt als den Fahrern. Um den Konnex zur originalen Mille Miglia beizubehalten, sind ausschließlich Gefährte der Baujahre 1927 bis 1957 teilnahmeberechtigt.
JEDER IST EIN STAR
Vor Beginn der Mille Miglia herrscht in Brescias Altstadt immer Volksfeststimmung. 450 Oldtimer sind an der Piazza Vittoria und der angrenzenden Piazza Loggia versammelt und lassen sich mitsamt ihren Insassen von der Menge bestaunen. Auch Glamour-Faktor und Promi-Dichte sind stets hoch. Und wie bei allen Veranstaltungen dieser Art kann man auch hier über die Vielfalt der Formen, die in früheren, experimentierfreudigeren Zeiten entwickelt wurden, ins Staunen kommen. Drei Jahrzehnte Automobilgeschichte sind versammelt, um den Designwandel – von den eckigen Formen der Zwanziger- zu den stromlinienförmigen der Fünfzigerjahre, von den freistehenden Kotflügeln zur integrierten Karosserie ohne Trittflächen – zu veranschaulichen. Am Ende der Entwicklung steht die unübertroffene Eleganz und giftige Sportlichkeit der Fünfzigerjahre-Modelle von Ferrari, Maserati, Aston Martin, Jaguar, Alfa Romeo oder Lancia. Auch Marken, die es längst nicht mehr gibt, sind hier vertreten: Bugatti, Osca, Lagonda, Talbot Lago und viele mehr. Jeder Einzelne ist ein Star, viele darunter sind, zumindest von der Type her, ehemalige Mille-Miglia-Teilnehmer.
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