Das zwielichtige Image von Tattoos ist längst vorüber, heute gelten die Verschönerungen als echtes Modeaccessoire. US-Designer und Tattookünstler Ed Hardy hat es auf den Punkt gebracht: „Es gibt einen Grund dafür, warum heute mehr Menschen Tattoos tragen als jemals zuvor.
In einer Welt, in der alles digital wird und Religion und Herkunft ihre Bedeutung verlieren, zeigt eine Tätowierung, wer du bist.“ Wie etwa bei Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton: In seinen 31 Jahren hat er sich zahlreiche Tattoos stechen lassen, allesamt Ausdruck seiner Lebenseinstellung, seiner Persönlichkeit.
Auf seinem muskulösen Rücken etwa prangt ein großes Kreuz mit Engelsflügeln, darüber die Aufschrift „Still I rise“, sinngemäß übersetzt: „Ich wachse daran“. „Ich denke, die Metapher ist einfach: Egal, durch welche Schwierigkeiten man geht, man wächst immer daran. Das ist etwas, was mein Dad mir immer eingetrichtert hat“, erklärte Hamilton bei einer Pressekonferenz. Weil der Rücken unter feuerfester Kleidung geschützt ist beim Rennen, trägt der Mercedes-Silberpfeil-Pilot diesen Leitspruch zusätzlich auch gut sichtbar auf seinem Helm. Am Arm hat Hamilton das Jesus-Herz, der Kompass auf seiner Brust steht dafür, dass die Kirche ihm den Weg weise. Durchaus überlegte Tätowierungen allesamt, entstanden aus persönlicher Überzeugung, vielfach mit religiösem Hintergrund.
KENNZEICHNUNG ODER SCHMUCK?
Ganz im Sinne Ed Hardys also. Der mit seiner Ausstellung „Pierced Hearts and True Love“ 1996 in einer New Yorker Kunstgalerie maßgeblich zur Imageverbesserung des Tätowierens und von Tätowierten beigetragen hatte. Denn die Körperkunst genoss nicht immer derart positiven Kultstatus wie heute … Die Tätowierung bzw. wissenschaftlich auch Tatauierung, ist grundsätzlich definiert als ein bleibendes Motiv, das mit Tinte oder ähnlichen Färbemitteln in die Haut eingeritzt wird und nicht wieder abgewaschen werden kann. Bei diversen Völkern dieser Erde hatte sich der Brauch unabhängig voneinander entwickelt, die Körperverschönerungen waren Zeichen von Stammeszugehörigkeit oder hatten die Funktion eines rituellen, sakralen Symbols. In weiterer Folge kamen sexuelle und politische Komponenten hinzu, ebenfalls glitt die Tätowierung in die anrüchigen Bevölkerungsgruppen wie etwa Seefahrer, Sträflinge, Banden oder auch Prostituierte ab. Während des Nationalsozialismus wurden Tätowierungen wie in der Viehzucht zur Kennzeichnung – einerseits der Juden, andererseits der SS STILSICHER
Mitglieder – verwendet. Eine lange Tradition hat der Körperkult in Japan – viele Motive aus der Mythologie wie etwa Drachen oder Dämonen haben es auch in den Westen geschafft. Das verruchte, zwielichtige Image hielt durchaus einige Zeit an, spätestens aber seit die Schmucktätowierungen in der Musikszene Einzug gehalten haben, war der Trend unaufhaltsam. Heute hat die Tätowierung längst den Mainstream erreicht, ein Tattoo gilt regelrecht als Modeaccessoire. Und dieses ist auch bereits in den Führungsetagen angekommen bzw. auf allen Ebenen salonfähig geworden. Wird der Nadelstreifanzug abgelegt, eröffnen sich oftmals ganze neue Welten …
TATTOOS MIT WERBEWERT
Auch so in der Modewelt. Bei den sogenannten Supermodels à la Crawford & Schiffer war der bunte Körperschmuck ein absolutes No-Go, heute sind sie das Markenzeichen von Cara Delevingne & Co. Die Britin – „Made in England“ hat sie sich auf der linken Fußsohle verewigen lassen – wirbt sogar mit ihrem Löwenkopf-Tattoo am Zeigefinger höchst prominent für die Uhremarke TAG Heuer. Wohl prominentestes, weil aufsehenerregendstes Beispiel: der L’Oreal Spot mit Ganzkörperkünstler und -model Rick Genest, auch bekannt als Zombie Boy. 2012 ernannte L’Oreal Genest zu seinem Markenbotschafter und drehte für die Marke Dermablend einen weltweiten YouTube-Hit mit 13 Millionen Klicks. Für „Beyond the Cover“ wurde Genest komplett überschminkt und man sieht zu Beginn des Videos einen ganz normalen Mann – der sich langsam, aber sicher in Zombie Boy mit seinen 176 Insekten- und 139 Knochen-Tattoos zurückverwandelt.
Entdeckt wurde der Kanadier 2010 von Thierry Mugler-Designer Nicola Formichetti, der auch 15.000 Euro Kaution nicht scheute, um ihn für seine Show einfliegen zu lassen. Es folgte ein Video dreh mit Lady Gaga zu ihrem Hit „Born this Way“ ebenso wie Kurzauftritte in TV und Film und zahlreiche Editorials bzw. Magazin-Covers. Auch auf dem Laufsteg werden die individuellen Verzierungen nicht mehr weggeschminkt, sondern vielmehr oft bewusst in Szene gesetzt – wie etwa der aussagekräftige Kleiderbügel im Nacken von Victoria’s-SecretM odel Chanel Iman oder das Fossil entlang der Wirbelsäule von US-Model Jamie Bochert, ideal für rückenfreie Kreationen. Ebenso dienen Tätowierungen als Inspirationsquelle – zu sehen etwa bei Jean Paul Gaultier, erstmals 1994 mit seiner „Les Tatouages collection“, erneut 2008, wo er der japanischen Tätowierkunst Respekt zollte. Marc Jacobs ließ sich nicht nur höchstpersönlich, sondern auch seine Louis Vuitton Männerkollektion Frühling 2011 – konkret die Lederartikel sowie die Laufstegmodels – von PromiTätowierer Scott Campbell verschönern. 2015 machte Comme des Garcons mit Tattoo-inspirierten Stücken auf sich aufmerksam, ebenso DSquared. Und sie werden wohl nicht die Letzten sein …
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